30 Jahre Porsche 993

Titelstory der Ausgabe 1-2024

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Natürlich hätte der 993 eine eigene Jubiläums-Ausgabe verdient, aber das sparen wir uns für den 50. Geburtstag auf. Heute feiern wir, dass die ersten Vertreter der letzten luftgekühlten 911-Baureihe ihr H-Kennzeichen bekommen.
30 Jahre Porsche 993
© Roman Rätzke

Ein Klassiker, sagen seine Fans, sei der Porsche 993 ja schon bei seinem Erscheinen im Spätsommer 1993 gewesen. Eher ein altes Auto meinten andere, die nur wenig Zukunft im neuen Elfer entdecken konnten. Damals, als die IAA in Frankfurt noch ein Ort relevanter Neuvorstellungen war und Porsche 30 Jahre nach dem ersten 911 auch den letzten nach bekanntem Muster konzipierten Elfer dort vorstellte.

Die Ambivalenz, die Mischung aus Klassik und Moderne, gehört zum 993 seit die ersten Testfahrer im Herbst vor 30 Jahren ihre Runden drehten. „Mit dem neuen 911 steht Porsche wieder in der ersten Reihe“, schreibt Wolfgang König von auto, motor + sport im November 1993. Und schiebt einen Absatz später ergänzend hinterher: „Ein Oldtimer als Retter in der Not.“ Es ist als Lob und gar nicht so ernst gemeint, denn der Elfer hat sich neu erfunden. Mal wieder! Die vollgasorientierten Kollegen von sport auto sind nach einigen Runden auf der Rennstrecke sogar der Meinung, dass der 993 dank neuer Hinterachse und erhöhtem Fahrkomfort „in der Summe seiner Eigenschaften einer der besten Sportwagen überhaupt“ sei. Das zum Vergleich angetretene internationale Teilnehmerfeld, bestehend aus Ferrari 348 GTB, Toyota Supra und Chrysler Viper RT/10, kann stets irgendetwas besonders gut, aber in der Summe seiner Eigenschaften liegt der 911 vorn.

30 Jahre Porsche 993: KLASSIK UND MODERNE

Viel Bewährtes, aber auch wirklich Neues steckt 1993 drin. Die von Designer Anthony-Robert „Tony“ Hatter maßgeblich mitbestimmte Elfer-Linie ist vertraut und doch beinahe dramatisch aktuell.

Die neuartigen, aber natürlich runden Polyellipsoid-Scheinwerfer liegen flacher als bei den drei Elfer-Generationen zuvor, die Front erscheint glattflächiger, ohne dabei an Konturen verloren zu haben – aber noch immer lässt sich über den sanft heruntergezogenen Kanonenrohr-Kotflügel perfekt die nächste Kurve anpeilen. Auch das breiter und flacher bauende Heck unterscheidet sich erstmals signifikant von den bekannten Vorgängern, doch der Wiedererkennungswert ist hoch. Das Reflektorband zwischen den Rückleuchten ist längst Teil des Elfer-Erbes.

© Roman Rätzke

LSA-HINTERACHSE AUS ALUMINIUM

Im Heck findet sich die andere große Innovation der Baureihe 993, die Aluminium-Mehrlenker-Achse mit doppelten Querlenkern. Leichtbau, Stabilität und Agilität, vom Ex-Rennleiter und Fahrwerksentwickler Peter Falk definierte Kernkompetenzen eines Porsche, soll die neue „LSA“-Achse gewährleisten. Schon zehn Jahre zuvor habe er eine neue Hinterachse für den 911 gefordert, erinnert sich Peter Falk später einmal im Interview, aber wegen Geldmangels nicht genehmigt bekommen. 30 Jahre nach Debüt des ersten Elfers ist es endlich soweit. Weil das Design und die Hinterachse hohe Kosten verursachen, ändert sich nur wenig beim Antrieb. Der Motor des Typs M64/05 ist eine Weiterentwicklung der bekannten 3,6-Liter-Maschine des 964. Eine Mehrleistung von 22 PS, also fast zehn Prozent, haben die Entwickler dank des optimierten Ansaugtrakts und neuer Motronic herausgeholt und dem bekannten G50-Getriebe einen 6. Gang hinzugefügt. 272 PS bei 6100/min leistet der mittlerweile von vielen schwarzen Kunststoffteilen zugebaute Sechszylinder und rauscht und bellt doch merklich sanfter als zuvor im Heck. Das Drehmoment liegt bei 330 Nm bei hochdrehenden 5000 Touren, da bleibt sich der Elfer treu.

Warum der neue Elfer erstmals ein anderer Elfer geworden ist, erklärt Forschungs- und Entwicklungsvorstand Horst Marchart 1993 direkt und ohne Umschweife, doch beinahe philosophisch: „Das Leben geht weiter. Unsere Kunden haben den Anspruch, dass wir ihr Auto weiterentwickeln. Wir haben nichts wegen vordergründigen Neuheiten-Effekts geändert, aber alles, wo wir Verbesserungspotenzial gesehen haben.“

Beim 964 war die Diversifizierung in die kleinste Nische eher Ausdruck von Verzweiflung gewesen, beim 993 hat sie bereits System. Ihn gibt es mit einer Leistungsspanne von 272 Sauger- bis 450 Turbo-PS, durchdekliniert bis zum nur 14-mal gebauten Turbo Cabriolet, erstmals als Targa mit großem, verschiebbarem Glasdach, als urgewaltige GT2-Version mit Turbo und Heckantrieb, als mondänes Cabrio und als massenkompatibles Carrera 4 Coupé mit Allradantrieb für jeden Tag, aber immer auch auf Wunsch mit Werksleistungssteigerung.

Dass in Porsche 993 S und RS ähnliche, aber unterschiedliche Motoren mit identischem Hubraum und gleicher Leistung sitzen, hilft auch zu verstehen, warum Porsche kurz vor dem Debüt des 993 am Rande des Ruins steht.

Herstellung und Montage der tradierten Hauptscheinwerfer in den Kotflügeln sowie der Blinker und Nebelscheinwerfer in der Frontmaske sind so teuer und zeitaufwendig, dass beim Nachfolger 996 erstmals alle Funktionen in einem als „Spiegelei“ diskreditierten Bauteil konzentriert werden. Es gibt den 993 als 4S, als Turbo S, als RS Clubsport und sogar als Polizeiauto! Der einmillionste Porsche, der 48 Jahre nach Produktionsstart am 15. Juli 1996 vom Band läuft, ist ein 285 PS starker 911 Carrera der Baureihe 993, der künftig bei der badenwürttembergischen Autobahnpolizei Dienst schiebt.

Porsche 993: TYPENVIELFALT MIT SYSTEM

Diese Kleinteiligkeit und Verliebtheit in mitunter viel zu komplizierte technische Lösungen erleben im 993 ihren Höhepunkt und ihr Ende. Das Manufaktur-System der Firma ist Anfang der Neunzigerjahre mindestens so überholt wie die Idee eines luftgekühlten Boxermotors im Heck. Aber bis zum Erscheinen von Boxster und 996 halten sie den Laden am Laufen.

Das wollen die gusseisernen Hardcore-Fans 1993 aber nicht wahrhaben. Der 911 lebt von der Luftkühlung, von althergebrachten Werten. Der Aufruhr, die Angst vor dem Neuen, die zur Präsentation eines Elfers dazugehört, äußern sich beim 993 erstaunlich verhalten. Dass es der letzte luftgekühlte Elfer sein würde, wussten damals wohl alle. Die nur kurz währende Karriere des 993, die schon 1998 nach 68.881 Einheiten endet, ist auch ein Abschied auf Raten.

Aber eigentlich war er ja nie weg! Von allen technischen und marktwirtschaftlichen Zwängen befreit, darf der Porsche 993 heute so schön nostalgisch wie beeindruckend alltagstauglich wahrgenommen werden.

Zum Wesen des 993 gehört, dass er ein scheinbar betagtes Konzept so weit veredelt hat, dass er auch als Typ mit Anfang 30 immer noch problemlos zwischen Diesel-Kombis und konturlosen E-SUV-Modellen bestehen kann. Mit Doppelzündung und zwei Ventilen pro Zylinder erreicht das Prinzip des luftgekühlten Sechszylinder-Boxermotors hier seine größte Reife. Zündkerzen, Öl- und Luftfilter müssen nur noch alle 40.000 Kilometer gewechselt werden und das archaische Einstellen der Ventile ist Vergangenheit. Ein 993 kann auch mit H-Kennzeichen ein Auto für jeden Tag sein. Der Werbeslogan „Was er bietet, gibt es bei anderen nicht einmal als Extra: 911 Prozent Faszination“, gilt immer noch.

Nur den Vergleich von der Verabredung mit einer eventuell zukünftigen Lebensgefährtin, die an die Ex erinnert aber nur eben jünger ist, wie ihn Chefredakteur Jürgen Pippig im Christophorus 1993 zwischen altem und neuem 911 zieht, würde heute niemand mehr so formulieren.

© Roman Rätzke

HAPTIK AUF HÖCHSTEM NIVEAU

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Volkswagen-Erbe auch im 993 noch stets spürbar und erlebbar bleibt: die aufrechte Sitzposition vor der steilen Scheibe, die Dreiecksfenster in den Türen und Regenrinnen am Dach wie aus den Sechzigerjahren (auch das „Greenhouse“ des 993 bleibt aus Kostengründen das alte), der lange Schaltknüppel und die stehenden Pedale. Auch vor 30 Jahren waren das schon Anachronismen. Das helle „Plopp“ und „Peng“ beim Öffnen und Zuschlagen der Türen, die ebenfalls aus ökonomischen Gründen vom Vorgänger übernommen wurden. Dafür ist der Kofferraum im Vergleich zum Vorgänger um 20 Liter gewachsen und die Karosserie um 20 Prozent steifer geworden. Der Evolutionsprozess der ursprünglichen Elfer-Baureihe lässt sich am ehesten im Innenraum greifen. Das Cockpit folgt dem Layout der G-Serie der frühen Siebziger und zeigt sich aufgeräumter und leichter zu bedienen als im Vorgänger 964. Dabei liegen Haptik und die Wertigkeit der Materialien auf Niveau des späten 928, was durchaus was heißen will. So edel und zugleich massiv ist kein Elfer davor oder danach. Nur die glattflächigen Sitze kommen da nicht mit: Sie sehen moderner aus als früher, wirken aber günstiger. Irgendwas ist ja immer …

VIERGANG-TIPTRONIC ZUM START des Porsche 993

Das Zündschloss sitzt links, was der Hauszeitschrift Christophorus, der die Urängste der Kundschaft bekannt sind, 1993 tatsächlich eine Meldung wert ist. Ein Dreh am Zündschlüssel, ein kurzes Luftholen und der Boxer läuft – unverkennbar, aber leiser als bei den Vorgängern. Ein Verdienst der zweiflutigen Auspuffanlage, wie das Unternehmen vor 30 Jahren immer wieder betont. Dass sich weiter verschärfende Lärmschutzrichtlinien mit dem luftgekühlten Motor nicht zu erfüllen sind, ist allen bekannt.

Natürlich ist das Rauschen im Heck, der typische Sound ein Teil der Verklärung des Porsche 993. Das Fahrerlebnis ist so vertraut wie mühelos, jeder Handgriff sitzt und fällt merklich leichter. Die serienmäßige Servolenkung erleichtert den Umgang, ohne die Präzision beim Einlenken zu mindern, die Kupplung geht leicht, die Gangwechsel ergeben sich wie nebenbei. Die bekannte Viergang-Tiptronic wäre möglich, aber der Handschalter bleibt die erste Wahl, weil Komfort eben doch nicht alles ist.

© Roman Rätzke

Trotzdem! Der Satz aus Ausgabe 1-2015, dass ein Freund alter Elfer im 993 nicht nur kämpfen, sondern auch mal entspannen kann, gilt noch immer. Und ob es jetzt die Urversion mit 272 PS oder die weiter entwickelte VarioCam-Variante mit 285 PS ist, spielt dabei kaum eine Rolle. 270 km/h Spitze sind allemal drin. Ein 993 mit Heckantrieb und Normalmotorisierung ist stets Elfer genug!

In den Prospekten der 993-Frühzeit zeigt Porsche seinen neuen Elfer gerne im vornehmen, gedeckten Nachtblau, das vor allem dem Cabrio hervorragend steht, oder zeitlosen Polarsilber, während die Autos des Testwagen-Pools in kräftige Farben wie Indischrot, Speedgelb oder Rivierablau gekleidet sind.

Es gibt aber auch Kunden der ersten Stunde, die ihren neuen 911 im Herbst 1993 gleich dreimal in Schwarz bestellen: Lack Schwarz 741, Innenraum schwarz, aufpreispflichtige 18-Zoll-Sport-Classic-II-Kreuzspeichenräder schwarz. Ralf Baumann (54) aus Stuttgart hat seinen monochromen Elfer 2015 gekauft, als das Augenmerk der Szene noch auf den jüngeren 911-Generationen lag und ein Kennzeichen wie S – PR 993 tatsächlich frei verfügbar war – als Porsche zum Benutzen, wie er betont. „Für mich ist er kein Sammlerauto im klassischen Sinne, sondern ein Klassiker für jeden Tag, mit dem man auch mal auf die Nordschleife fahren kann.“ Auch mit 30 kann der Porsche 993 das alles. Und dafür lieben wir ihn.


Text: Jan-Henrik Muche · Fotos: Roman Rätzke
Erschienen (mit vielen weiteren Fotos) in Ausgabe 1-2024

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