INTERVIEW MIT AUGUST ACHLEITNER

Mister 911 in Ausgabe 1-2024

Teilen
In jedem 911 der Baureihen 993 bis 992 ist eine Menge August Achleitner enthalten. Grund genug, sich ausführlich mit ihm über seine Arbeit bei Porsche und die Zeit danach zu unterhalten.
August Achleitner
© Dieter Rebmann

PORSCHE FAHRER: Herr Achleitner, als wir Sie um eine Homestory baten, sagten Sie spontan zu. Nur nicht bei Ihnen zuhause in Tirol oder in Weil der Stadt bei Stuttgart, sondern in ihrer dritten Heimat, dem Porsche-Museum. Warum?

August Achleitner: Wir möchten unsere Privatsphäre schützen. Ich kenne den Walter Röhrl recht gut, der handhabt das anders. Bei ihm geht’s zu wie im Taubenschlag! Auch weil jeder weiß, wo er wohnt. Das wollen wir nicht. Er ist ein guter Freund von mir, wir verstehen uns ziemlich blind – aber in dieser Beziehung unterscheiden wir uns doch sehr.

Ihr Vater war Ingenieur in der Autobranche. Hat er das Interesse an Technik an Sie vererbt?

Scheint so. Zumindest hat der Job meines Vaters wohl Einfluss auf mich gehabt. Aber er hat meinen Werdegang nicht aktiv gefördert. Tatsächlich interessant: Er war Hauptabteilungsleiter bei BMW und dort zuständig für die Fahrzeugkonzeptionierung und das Package. Das war exakt der gleiche Job, den ich bei Porsche zehn Jahre lang ausgeübt habe. Mein jüngerer Sohn arbeitet nun auch noch im gleichen Bereich – vielleicht hat das wirklich was mit Genetik zu tun.

Gab es ein Schlüsselerlebnis für Ihr Faible für Sportwagen?

Mein Vater hat damals einen Porsche 924 mitgebracht, ich durfte ihn fahren. Meine damalige Freundin und heutige Frau wohnte im Osten von München, wir im Westen. Ich habe sie oft besucht und auf dem Weg dorthin ging es über den Autobahnring um München, die A99. Zu jener Zeit hatten wir einen BMW 728i oder 735i mit bis zu 218 PS, die sind dort maximal 210 km/h gelaufen. Der 924 hatte gerade mal 125 PS und war genauso schnell. Das hat mich beeindruckt und ich habe mir gedacht: So ein Sportwagen ist viel effizienter als eine große Limousine. Er ist schneller, braucht weniger Sprit, macht mehr Spaß, ist das bessere Auto – zumindest für das pure Fahren. Und danach kam dann der noch bessere 944. Ein 944 Turbo war dann der erste Porsche, den ich nach einigen Jahren leasen konnte. Das Auto war echt beeindruckend.

Autodesign war für Sie nie ein Thema?

Ich bin tatsächlich viel mehr Techniker, bewundere aber durchaus die Arbeit der Designer und halte bis zum heutigen Tag, also auch vier Jahre nach Berufsende, mit vielen Designkollegen einen sehr guten Kontakt. Letztendlich hat man zusammen Projekte auf den Weg gebracht, die funktionieren und gut aussehen mussten. Ein Fahrzeugkonzept beginnt mit den Innenraummaßen sowie der Positionierung der technischen Komponenten. Daraus leiten sich die klassischen Maße ab wie etwa Radstand und Spurweite. Gleichzeitig fangen die Stylisten an, Ideen für das Design zu entwickeln. Oft gibt es in dieser Phase Konflikte zwischen Ingenieuren und Designern, dann muss man sich zusammenraufen. Mir hat das aber immer viel Spaß gemacht, weil wir letztlich immer konstruktiv unterwegs waren.

© Dieter Rebmann

Welchen Anspruch hatten Sie an Porsche und welchen an sich, als Sie 1983 mit der Arbeit begannen?

Direkt nach dem Maschinenbaustudium hatte ich noch kein Interesse zu arbeiten – die Frage war, ob ich promoviere oder ein Betriebswirtschaftsaufbaustudium dranhänge. Und dann dachte ich: Egal, was man auf der Welt macht, letztendlich dreht sich alles ums Geld. Alle Firmen müssen Geld verdienen und schwarze Zahlen schreiben. Also habe ich BWL als Aufbaustudium ergänzt. Danach wollte ich allerdings mein Maschinenbauwissen erst einmal richtig anwenden und Erfahrung sammeln. Ich konnte bei Porsche in der Fahrwerksentwicklung starten – ein Glücksfall.

Wie ehrgeizig waren Sie damals?

Es gab bestimmt Kollegen, die gingen zu Porsche mit dem Ziel, irgendwann Vorstand zu werden. Den Anspruch hatte ich nicht, aber ich wollte auch nicht als Sachbearbeiter enden. Die Gesamtbalance im Leben muss stimmen, im Privatbereich und im Beruf, das hatte Priorität für mich.

Sie haben also Ihre Karriere nicht generalstabsmäßig geplant?

So etwas kann man eh nicht planen. Es müssen sich ja erstmal Chancen ergeben. Dann muss man sich selbst unter Beweis stellen. Und vielleicht dabei auch Härte zeigen, um einen bestimmten Job zu erlangen. Ich habe vielleicht ein, zwei Mal etwas Druck gemacht, mehr nicht. Als Abteilungsleiter der Fahrzeugkonzeptionierung 1989 war ich schon ziemlich zufrieden. Das passte, war hochinteressant, und ich hatte es schon zu etwas gebracht. Anschließend die Baureihen-Leitung des 911 zu übernehmen war für mich das Tüpfelchen auf dem i und passte in den Anforderungen perfekt zu meiner Ausbildung.

WIE LERNTEN SIE DEN 911 KENNEN?

Das war 1983. Kurz nach der halbjährigen Probezeit in der Fahrwerkskonstruktion durfte ich einen Versuchswagen mitnehmen, ein damals neues 911 Cabrio, ein G-Modell. Durch meinen Vater war ich natürlich sehr BMW-geprägt – mein erstes eigenes Auto nach einem Käfer war ein 1502, danach kamen verschiedene 3er. Ich durfte auch mit den Dienstwagen meines Vaters fahren, mein Popometer war also voll auf BMW geeicht. Einen 911 zu fahren war völlig anders! Das fing mit dem Sound an, der nicht von vorne, sondern von hinten kam. Und dann erst dieses Feedback, das man als Fahrer bekam, das war einzigartig. Der 911 kam als Auto dem Feeling auf einem Motorrad am nächsten.

Haben Sie da schon gedacht, dass Sie dieses Auto gerne weiterentwickeln würden?

Nein, zunächst nicht. Ich wurde im Fahrwerksbereich zuerst bei Kundenprojekten eingesetzt. Da diese intern nicht so im Fokus standen, bekam ich schnell einen großen Zuständigkeitsbereich. Und damit einen sehr tiefen Einblick in die Materie. Zum Beispiel war ich verantwortlich für eine komplette Vorderachse für eine GM-Tochterfirma, die sie für einen sehr leistungsstarken Frontantrieb benötigte. Im Team haben wir zunächst die Theorie gewälzt, die Kinematik, Elastokinematik und Geometrie ausgelegt und auch alle Bauteile konstruiert. Zum Schluss wurde ein Prototyp aufgebaut. Ich habe also von der ersten Idee bis zum Feedback beim Fahren alles mitbekommen, das war für mich extrem interessant und lehrreich. Wäre ich mit Porsche-Projekten betraut gewesen, hätte ich in so kurzer Zeit nicht so viel gelernt. Danach haben wir solche Konzeptarbeit aber auch für Porsche gemacht, und eines der letzten meiner Projekte in dieser Abteilung war zusammen mit einem Kollegen die neue Hinterachse für den 993. Wir haben das gesamte Projekt so aufgebaut wie das zuvor in der Kundenentwicklung. Das Ergebnis war letztendlich die Doppelquerlenkerachse, die in weiterentwickelter Form noch immer in den heutigen 911 steckt.

Mister 911
© Dieter Rebmann

Was war das beeindruckendste Erlebnis während Ihrer Arbeitszeit?

Da gibt es viele. Aber ganz oben steht die Bewältigung der extremen Krise bei Porsche 1990/1991. Davor gab es unternehmerische Fehlentscheidungen, es fehlte offensichtlich jede Strategie. Das hat mich bewogen, tiefer in das Thema Fahrzeugstrategie und Produktplanung einzusteigen. In dieser Zeit entstand ein neues Vorstandsteam um Dr. Wiedeking, das die richtigen Entscheidungen traf. Wichtig war das Ziel, das wir erreichen mussten: 30.000 Sportwagen im Jahr. Vorher waren alle Projekte gestoppt worden wie zum Beispiel der Viertürer 989, dessen Geschäftsmodell zu der Zeit nicht reif war. Wir haben dann das Gleichteilekonzept von Boxster und 996 mit dem radikalen Ansatz entwickelt, beide Modelle bis hinter die B-Säule identisch zu gestalten. Und das nicht nur konzeptionell, sondern tatsächlich mit exakt gleichen Teilen. Alle drei Tage saßen wir mit den Controllern zusammen, und dank dieses neuen Konzepts und eines intensiven Kreativitätsprozesses purzelten die Teilekosten. Da haben wir gesehen: Wenn es uns gelingt, alles umzusetzen, dann überbieten wir unsere eigenen Ziele bei Weitem.

Hatten Sie zu jener Zeit Angst um den eigenen Job?

Nein. Wir haben ja früh erkannt, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Die Welt lechzte damals nach einem neuen Porsche, denn vorher wurden die Kunden nur mangelhaft bedient. Mit dem Showcar des Boxsters 1993 und kurz danach dem 993, dem letzten luftgekühlten 911, hat Porsche zu der Zeit die richtigen Zeichen gesetzt. Mit der Einführung des Boxster 1996 und danach des neuen 996 war der Turnaround geschafft.

Noch ein Beispiel?

Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit des Carrera GT. 1999 war der Boxster auf dem Markt, der 996 auch, beide sehr erfolgreich, aber es gab noch keinen 911 GT3 und keinen 911 Turbo. Da in der Öffentlichkeit auch durchgesickert war, dass Porsche an einem SUV arbeitete und das die Hardliner völlig irritierte, wollten wir ein supersportliches Zeichen setzen und stellten den Carrera GT als Studie auf die Räder. Technik pur, das Auto war losgelöst von Kostendrücken, es musste nur alles geheim gehalten werden. Das Auto durfte ich bis zu seiner Präsentation als Konzeptfahrzeug in Paris 2000 als Projektleiter leiten.

Erinnern Sie sich an die Präsentation?

Unvergesslich! Es gab zwei Konzeptfahrzeuge des Carrera GT, einen nutzte Walter Röhrl in der Nacht vor Messestart zu Filmaufnahmen auf der Champs-Élysée und einer stand in einer großen silbernen, undurchsichtigen Kiste auf dem Pariser Salon im Jahr 2000. Alle Besucher vermuteten das Porsche-SUV dahinter. Auf der Messe sind dann die Seitenteile der Kiste heruntergefallen: Zehn Sekunden lang herrschte eine völlige Stille – dann gab es tosenden Beifall. Kurz danach besuchte uns der damalige Ferrari-Entwicklungschef Amedeo Felisa und sagte: „You did a great job. But please do not produce it.” Er war sichtlich beeindruckt – Ferrari hatte von Porsche einiges erwartet, aber nicht so einen Supersportwagen. Das war für uns natürlich eine Ehre. Nach der Resonanz hat Porsche entschieden, das Auto doch in Serie zu bauen. Ferrari hat dadurch keinen Schaden erlitten, glaube ich.

Gibt es einen Menschen, der Sie besonders beeindruckt hat oder den Sie sogar bewundern?

Ich bewundere niemanden, aber ich schätze Dr. Wiedeking und Oliver Blume sehr. Ferry Porsche durfte ich in den Neunzigerjahren kennenlernen. Das war ein unvergesslicher Moment. Er war sehr interessiert und positiv gestimmt, wie wir Probleme angingen.

Haben Sie mal Ihren persönlichen Geschmack durchgesetzt, was Technik angeht?

Ja, öfter. Zum Beispiel auch gegen Widerstände aus den Fachbereichen. Aber dann natürlich als Baureihenleiter, dazu hatte ich die Macht.

Zum Beispiel?

Wir haben den 991 der 2. Generation von Saugmotoren auf Turbomotoren umgestellt, um die Verbrauchsziele einhalten zu können. Aber auch, um leistungsmäßig wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Antriebsbereich schlug bei der Konzeption des Turbomotors eine Maximaldrehzahl von etwa 6500 Umdrehungen vor. Dazu muss man wissen: Der Vorgänger hatte als klassischer Sauger eine Maximaldrehzahl von 7800. Ich habe dann gesagt: „Ich will Euch ja nicht beleidigen, aber das Drehzahlniveau eines Dieselmotors machen wir nun bestimmt nicht. Mit maximal 6500/min in einem neuen Boxermotor braucht Ihr nicht zu mir kommen ...“ Normalerweise bin ich kein Mensch von schroffen Tönen, aber da haben sie mich echt aus der Reserve gelockt. Der Schritt von Sauger zum Turbo war viel größer als einst der von Luft- auf Wasserkühlung. Das eine betraf ja nur das Kühlmedium, deswegen änderte sich aber nichts an der Charakteristik des Motors. Aber ein Turbo hat mit einem Sauger nichts zu tun. Um die Faszination des Saugmotors auch im neuen 911 wieder darzustellen, durfte die Drehzahl nicht bei 6500 aufhören. Letztlich haben wir uns dann zwar nicht auf 7800, aber immerhin auf bei 7500 Umdrehungen geeinigt und der Erfolg der neuen Antriebe gab uns Recht.

Sie sollen auch mal einen Radstand beim heimischen Sonntagskaffee festgelegt haben.

Stimmt. Beim 996 gab es relativ genaue Vorstellungen, wo er besser werden musste als sein Vorgänger. Der 993 besaß noch die klassischen Abmessungen, also etwa den Radstand mit 2272 Millimetern. Wir waren der Meinung, dem 996 täte mehr Radstand gut, auch wegen der extremen Achslastverteilung als Hecktriebler mit mindestens 62 Prozent hinten. Mehr Radstand beruhigt das Auto um die Hochachse. Auch innen brauchten wir mehr Platz – ganz einfach deshalb, weil die Menschen im Laufe der Zeit größer wurden. Die Breite war technisch vorgegeben unter anderem durch Seitencrash-Vorgaben oder die technische Tunnelbreite. Die Sitzposition sollte niedriger werden als im 993, aber höher als im 944. Und dann saß ich eines sonntags daheim mit meiner Frau, auch eine Ingenieurin, und habe mit ihr den neuen Radstand diskutiert. Aus Sitzkisten wusste ich: Wir brauchen bestimmt fünf, sechs oder sieben Zentimeter mehr als bisher. Da habe ich gesagt: „Machen wir doch gleich acht, also insgesamt 2350 Millimeter. Das ist ein gutes Maß und das macht technisch Sinn.“ Wir haben das dann noch etwas diskutiert. Am Montag war ich dann wieder im Büro und sagte: „Radstand 2350 – hat jemand was dagegen?“ Hatte keiner … Das Maß wurde dann erst mit dem 991 wieder verändert.

Haben Sie öfter 911-Arbeit mit nach Hause genommen und besprochen?

Die Arbeit war interessant und hat Spaß gemacht, also habe ich nicht freitags um 17:00 Uhr den Computer ausgeschaltet, um in eine andere Welt zu wechseln. Ich habe mich mit der Arbeit identifiziert, es war Teil des Lebens. Ich habe aber auch die Familie einbezogen Es gibt Fotos, auf denen meine Söhne im Alter von drei und sechs Jahren im Werk dank Sondergenehmigung im Musterbau in einer 996-Sitzkiste im Fond zur Probe saßen. Sie sollten den Komfort beurteilen. Haben sie auch gemacht.

Wissen Sie, wie viele Kilometer Sie in Elfern zurückgelegt haben? Und auf der Nordschleife?

Bei der Nordschleife habe ich das mal grob überschlagen: 400 bis 500 Runden. Aber insgesamt weiß ich es nicht. Da kommt bestimmt mehr als eine Million Kilometer zusammen. Dazu gehörten natürlich extreme Touren wie Erprobungen zum Beispiel in Südafrika bei 50 Grad Hitze oder in den kanadischen Northwest-Territories auf den Eispisten bei fast -40 Grad Kälte.

Mochten Sie solche Extreme?

Es war Teil der Arbeit, aber es war natürlich auch interessant. Die Gesamtfahrzeugerprobungen machten viel Sinn: Da ging es nicht nur darum, etwas abzunicken. Viel wichtiger war die Frage: Wie machen wir es? Ich habe mir dazu allerdings mehr Zeit genommen als manche Kollegen. Die sind für zwei Tage gekommen, ich war immer mindestens eine Woche dabei. Wir hatten meistens um die zehn Autos dabei in unterschiedlichen Bauständen. Wenn man sich mit einem Auto richtig auseinandersetzen möchte, dann reichen nicht 20 Kilometer Testfahrt, um eine fundierte Bewertung abzugeben. Also bin ich das Zehnfache gefahren. Durchaus auch auf dem Beifahrersitz. Und dann haben wir abends jedes Auto in jedem Detail durchgekaut. Das war sehr produktiv und hat den Fahrzeugen den Feinschliff gegeben.

Und wie haben Sie gelernt, die Nordschleife zu fahren?

Damit wurde ich erstmals konfrontiert in der Endphase der Fahrwerksentwicklung im Übergang zur Gesamtfahrzeugkonzeption. Damals haben die Japaner für viel neue Technik gesorgt, dazu gehörte auch die Hinterradlenkung. Das hat auch uns beschäftigt: Bringen wir das im 911 auch? Es entstanden Prototypen des 993, die damit ausgerüstet waren. Damit bin ich dann das erste Mal auf der Nordschleife gefahren – ohne die Strecke zu kennen. Dann macht man eben den einen oder anderen Fehler: In der Fuchsröhre brauchte ich die gesamte Piste inklusive Grünstreifen rechts und links. Aber ich habe nirgendwo etwas touchiert! Jahre danach bin ich dann bei einem Kenner zehn Runden mitgefahren, bis mir schlecht wurde. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich lieber selbst ans Steuer gesetzt und die Nordschleife schätzen gelernt. Die Nürburgring Nordschleife ist die Messlatte – wenn ein Sportwagen dort funktioniert, dann funktioniert er überall!

Sind Sie nie auf die Idee gekommen, Rennfahrer zu werden? Die Statur passt, das Wissen, wie man ein Auto abstimmt, auch.

Ganz ehrlich: Als ich noch studiert habe, habe ich tatsächlich damit geliebäugelt, Rennen zu fahren. Aber auf dem Motorrad. Ich war damals im gleichen Motorsportclub wie Toni Mang, dem „Immerfeicht Racing Team“. Das war Mitte der Siebzigerjahre. Aber ich glaube, es war besser, dass ich damals das Geld zum Rennsport nicht hatte. Heute bewege ich mich schon mal auf der Rennstrecke auf dem Bike, aber nicht im Wettbewerb. Und erst recht nicht auf der Nordschleife. Das ist mir zu gefährlich.

Am Ende Ihrer Zeit als Baureihenleiter 911 waren Sie auch für die Baureihe 718 verantwortlich. Waren Boxster und Cayman eher Stiefkinder für Sie?

Absolut nicht. Nur mit dem Boxster ist es ja dem 911 gelungen, seine eigenen Kosten dramatisch zu reduzieren. Der Boxster eröffnete ein neues Segment, das Porsche vorher nicht bedient hatte. Denn 944 und zum Schluss 968 waren zu teuer, der Verkaufspreis lag nur minimal unter dem des 911. Und dann gab es noch den 928 – Porsche hatte einfach zu viele Modelle im gleichen Preissegment. Der Boxster und der Cayman haben die Sportwagenpalette nach unten perfekt abgerundet.

Wie konnten Sie dem 718 auch Ihren Stempel aufdrücken?

Ich habe die Modellreihe übernommen, als sie schon von den neuen Vierzylinder-Turbo-Boxermotoren angetrieben wurden. Wir haben dann den Vierliter-Sechszylinder als Saugmotor zusätzlich eingeführt sowie mit dem GT4 eine noch schärfere Version entwickelt, um das Auto emotional so richtig aufzuladen. Was ihm bis heute gut tut. Es verkauft sich hervorragend.

Waren Sie auch für die Supersportableger des 911 wie den 997 GT2 verantwortlich?

Die GT3 und GT2 haben die Kollegen in Flacht gemacht. Aber das lief immer in enger Abstimmung mit uns als Baureihenleitung. Wenn ein neuer 911 geplant war, haben wir uns mit den Kollegen aus dem Motorsport frühzeitig abgestimmt, um das im Serienauto zu berücksichtigen, was später wichtig für die extremen Rennversionen ist.

Hatten Sie bei all der Arbeit Zeit für Familienleben?

Durchaus – manchmal haben wir das aber auch kombiniert. So hatten wir im Jahr 2000 eine USA-Urlaub geplant, mit dem Wohnmobil durch Kalifornien, da waren die Söhne zehn und 13 Jahre alt. Inzwischen war beschlossen worden, dass die ganzen Fotoshootings für den Carrera GT im Valley of Fire in Nevada bei Las Vegas stattfinden sollten. Ich sagte: „Da muss ich dabei sein!“ Und dann haben wir eine Woche geopfert und sind dorthin gefahren. Eine Woche jeden Tag bei 42 Grad in Nevada. Meine Jungs haben geholfen, das Auto abzudecken, wenn ein Tourist vorbeikam. Es war eine tolle Erfahrung und dabei entstand das tolle Verhältnis zu Walter Röhrl.

Was verbindet Sie mit ihm?

Wir haben etwa zu 90 Prozent die gleichen Ansichten, die wir allerdings ein bisschen unterschiedlich von uns geben. Aber wir verstehen uns blind. Gut kennengelernt haben wir uns ja beim Carrera-GT-Fotoshooting in Nevada. Ab da haben sich unsere Wege stets gekreuzt.

August Achleitner im Porsche Museum
© Dieter Rebmann

Folgern wir dann richtig, dass auch Sie einen Hybrid-911 oder einen rein elektrischen 911 blöde finden?

Ich würde mich jetzt nicht so ausdrücken. Meine Meinung: Ehe ich gar keinen 911 mehr fahren kann, fahre ich ihn elektrisch. Ich habe mit E-Fahrzeugen kein Problem, aber mit der Ideologisierung dieser Technologie. Problematisch sind das hohe Gewicht, die Reichweite, die fehlende Infrastruktur, die Ladezeiten, teilweise die CO2-Gesamtbilanz. Insofern unterstütze ich den Ansatz von Porsche zu 100 Prozent, neben der E-Mobilität auch mit E-Fuels zu arbeiten. Vor allem können wir damit neben neuen auch alle nach wie vor sich im Betrieb befindlichen Verbrenner aller Marken zur CO2-Reduktion heranziehen. Alle.

Sind Sie deshalb vielleicht ein bisschen froh, dass Sie diese Zeitenwende jetzt nicht als Verantwortlicher mitmachen?

Im Gegenteil: Ich bedauere tatsächlich zutiefst, nicht dabei zu sein. Bei einer meiner letzten Aktionen auf der Prüfstrecke in Weissach konnte ich zwei Autos fahren: einen GT4 als Cup-Fahrzeug, also einen Rennwagen, und ein Versuchsmuster eines rein elektrischen Cayman. Den elektrischen Cayman bin ich zuerst gefahren, da ich erwartete, mit dem Cup-Fahrzeug danach das „richtige“ Fahrerlebnis zu erhalten. Dann fuhr ich mit dem Renn-GT4 – und war zutiefst enttäuscht. Wie das E-Fahrzeug aus den Ecken herauspowerte, faszinierend! Und es war ganz klar ein Porsche-Sportwagen.

Haben Sie in Ihrem Arbeitsleben noch etwas bereut oder bedauert?

Bereut nicht, aber bedauert. Das betrifft den 911 Dakar. Mit diesem Projekt war ich drei- oder viermal beim Vorstand und habe den Bau beantragt. Das ist aber immer abgelehnt worden, primär weil der Vertrieb meinte, den könne man nicht verkaufen, dafür gäbe es keinen Markt. Dann kam aber zum Glück jetzt doch das OK für meine Kollegen und das Projekt, und nun sind die aufgelegten 2500 Stück schon alle verkauft.

Haben Sie zum Schluss noch am Nachfolger des 992 mitgearbeitet?

Ja, denn man fängt ungefähr in dem Moment mit dem nächsten Modell an, wenn gerade das neueste Produkt auf den Markt kommt. Auch in dem steckt also noch ein bisschen Achleitner.

Ist es schwer für Sie, jetzt keinen Einfluss mehr auf die weitere Entwicklung zu haben?

Nein, es ist jetzt ein neuer Lebensabschnitt. Jetzt sollen die anderen mal machen.

Haben Sie Ihre Ziele immer umsetzen können?

Ja. Denn die Entscheidungen waren immer intensiv bewertet und durchgearbeitet. Klar gab es Ideen, die gut waren, aber technisch noch nicht ausgereift genug waren, um sie zu nutzen. Die verwirklichten wir dann in der Modellpflege oder im Nachfolger. Na gut, einmal haben wir den Serieneinsatz um drei Monate verschoben. Aber das ist nun auch schon 20 Jahre her …

Mögen Sie eigentlich Ihren inoffiziellen Titel „Mister 911“?

Ich nehme ihn zur Kenntnis, mache mir aber nicht viel daraus.

Haben Sie einen Lieblings-911?

Eigentlich nicht. Mir gefallen alle. Im vergangenen Jahr hatte ich als Dienstwagen einen neuen 992 Targa. Er hat mir extrem gut gefallen – vielleicht der schönste 911, obwohl er der schwerste von allen ist. Mein jüngerer Sohn hat einen 991.2 Carrera T mit Schaltgetriebe, der markiert das krasse Gegenteil, weil er 300 Kilo weniger wiegt. Jetzt fahre ich ein 992 Cabrio und genieße das, besitze zudem noch einen GT3 991.2. In unserer Familie herrscht übrigens der pure Kommunismus: Da darf jeder mit jedem 911 fahren.

Kein Faible für klassische 911er?

Damit käme ich bei meiner Frau nicht durch, dafür ist sie zu nüchtern. Sie findet sie zwar schön, mag aber den technischen Stand und das niedrigere Sicherheitsniveau der „alten Kisten“ nicht. Finden Sie mal Argumente dagegen …

Weil‘s Spaß macht? Weil‘s anders riecht? Uns würden schon ein paar einfallen.

Das sieht natürlich jeder anders. Ich selbst hänge aber auch nicht so an den Klassikern. Unser ältester 911 ist von 2015.

Ihre Hobbys sind Motorradfahren, Mountainbike und Skifahren. Leben Sie gerne ein bisschen gefährlich?

Nein. Ich hab’s nicht mit der Gefahr – aber mit Dynamik. Allerdings musste ich auch ein bisschen Lehrgeld zahlen. Ich hatte mal auf dem Salzburgring einen Highsider mit dem Motorrad, da landete ich im Krankenhaus mit einem Schlüsselbeinbruch. Es war mein Fehler: Ich dachte, der Reifen geht für die paar wenigen Runden noch, er ging aber nicht mehr …

Was für ein Autofahrer sind Sie?

Ich fahre im normalen Straßenverkehr, sagen wir mal, verhalten sportlich. Wenn ich richtig schnell fahren will, gehe ich mit dem Motorrad oder dem GT3 auf die Rennstrecke.

Wie sieht Ihr Plan für die kommenden Jahre aus?

Durch meine zwei Wohnsitze bin ich ziemlich beschäftigt. Ich habe mir jetzt in Tirol eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach gebaut, für solche Technik kann ich mich begeistern. Und ich veranstalte jedes Jahr eine Porsche-Ausfahrt für ehemalige Kollegen. Wir sind dann in den Alpen unterwegs. Und Italienisch als Sprache macht mir viel Spaß, die lerne ich nebenbei.

Eine letzte Frage: Wie sehr wurden Sie Zeit Ihres Arbeitslebens von Nachbarn, Freunden und Bekannten bedrängt, den 911 doch so oder so zu machen?

Ich habe das Pech oder das Glück hier bei Stuttgart, dass ich Nachbarn habe, die nicht autoaffin sind. Aber ich bin nach Arbeitsende in den Porsche-Club Südtirol eingetreten, denn ich wollte das Thema Porsche mal von der anderen Seite kennenlernen. Die Menschen dort sind toll, sehr aktiv, viel auf der Rennstrecke, und die löchern mich dann immer mal. Auch in dem Sinne, dass ich mal Druck machen soll, wenn ein bestellter 911 nicht gleich ausgeliefert wird. Ein paar Mal konnte ich tatsächlich helfen, vor allem, wenn es Probleme mit Ersatzteilen gab. Aber ich bin nicht derjenige, der schnell mal mit dem Finger schnippt und dann funktioniert alles. Ich bin einfach nur der Gustl Achleitner.


Text: Roland Löwisch · Fotos: Dieter Rebmann
Erschienen in Ausgabe 1-2024

Ähnliche Artikel
Artikel teilen

Bitte wählen Sie eine Plattform, auf der Sie den Artikel teilen möchten:

Beitrag melden

    Ihr Name

    Ihre E-Mail-Adresse

    Bitte beschreiben Sie kurz, warum dieser Beitrag problematisch ist

    [honeypot company]


    xxx
    Newsletter-Anmeldung

    * Pflichtfeld

    ** Der HEEL Verlag erhebt Ihre Daten zum Zweck des kostenlosen E-Mail-Newsletters. Die Datenerhebung und Datenverarbeitung ist für die Durchführung des Newsletters und des Informationsservice erforderlich und beruht auf Artikel 6 Abs. 1 a) DSGVO. Zudem verwenden wir Ihre Angaben zur Werbung für eigene und HEEL-verwandte Produkte. Sie können sich jederzeit vom Newsletter abmelden. Falls Sie keine Werbung mehr auf dieser Grundlage erhalten wollen, können Sie jederzeit widersprechen. Weitere Infos zum Datenschutz: ds.heel-verlag.de