Urwerk 911

Leichtes Spiel

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Singer aus Kalifornien hat die Linie vorgegeben, viele sind ihr gefolgt. Auf dem Markt der Outlaws und Restomods gibt es eine eindeutige Richtung, mehr scheint oft besser als genug. Urwerk 1:1 aus dem Landkreis Kassel will dem Trend nicht folgen, findet, weniger ist mehr.

Der Wagen empfängt mit schlichter Eleganz, das Grau steht dem Elfer gut. Ein paar Blicke unter das Kleid genügen, um zu wissen, womit man es zu tun hat. Der Motor, die Instrumente – das hier ist ein 911 Carrera 3.2, der seine Basis nicht versteckt oder kaschiert, auch wenn er im Retrolook des klassischen F-Modells auftritt.
Doch wenn man diese Zahl hört, weiß man: Es steckt mehr dahinter. Oder, besser gesagt, weniger. 919 Kilogramm.
Das ist das Kampfgewicht des Urwerk 911, und dieser Wert definiert das ganze Projekt. Gemessen wurde der Wagen ohne Benzin im Tank, was es bei Vergleichen mit anderen 911 zu beachten gilt. Wie auch immer, das Ergebnis ist beeindruckend.
Um auf die frühere DIN-Angabe zu kommen, muss man eine 90-prozentige Tankfüllung hinzurechnen, 54 Kilogramm bei 72 Litern. Das ergibt 973 Kilogramm. Damit liegt der Urwerk 911 auf dem Niveau eines nackten 911 Carrera RS 2.7 in Leichtbauversion und Renntrimm, den Porsche mit 960 Kilogramm angab ‒ und bietet dabei doch den Komfort des 1075 Kilogramm schweren 911 Carrera RS 2.7 in Touring-Version.

Urwerk 911

Der Urwerk 911 VERZICHTet AUF GEWICHT

De facto unterbietet er sogar den Leichtbau-RS im Karosseriekapitel, denn Urwerk setzt auf ein modifiziertes 3,2-Liter-Triebwerk, das deutlich mehr wiegt als ein 2,7-Liter-Motor. Das liegt nicht nur daran, dass der Carrera 3.2 ein Gehäuse aus Aluminium besitzt, das etwa 10 Kilogramm schwerer ist, sondern auch die Innereien sind gewichtiger, angefangen bei der Kurbelwelle bis hin zu Kolben, Ventilen und den anderen deutlich größer dimensionierten Bauteilen.
Dazu kommen das schwerere Getriebe, größere Felgen, eine größere Bremse und ein Bremskraftverstärker. Auch die Windschutzscheibe und die Türscheiben sind weiterhin Serie und kein Glaverbel-Dünnglas wie beim Leichtbau-RS. Bei vergleichbarer Technik wäre der Elfer aus Kassel etwa 30 Kilogramm leichter als der Renn-RS – und das bei einer Ausstattung, die von der Anmutung eher dem Touring entspricht.
Wie wurde das erreicht? Urwerk baute den Wagen auf der Basis einer komplett im Tauchbad entlackten, KTL-beschichteten Rohkarosserie auf. Kotflügel, Fronthaube und Stoßstangen sind aus einem Kevlar-Composite-Gewebe gefertigt, dessen auf der Innenseite sichtbare Strukturen mit viel Liebe zum Detail eingepasst wurden. Der Motordeckel besteht aus Aluminium. Es gibt keine Klimaanlage oder elektrische Fensterheber. Doch dafür verströmt das mit Alcantara in Anthrazitgrau verkleidete Armaturenbrett mitsamt den reduziert gestalteten Türtafeln, die ebenfalls so bezogen wurden, zivile Wohnlichkeit. In jeder Ecke wirkt der Wagen wertig gestaltet. Dazu kommen Sitze im Stil des F-Modells in Recaro-S-Manier mit hellbraunem Bentley-Leder (so viel Luxus darf ruhig sein und auch etwas wiegen) und Mittelbahnen im Pepitamuster mit einem soliden Flächengewicht. Ja, der Handschuhkastendeckel fehlt ebenso wie ein Radio (es existiert aber eine Vorbereitung dafür), doch dafür gibt es in den Türtafeln Taschen. Und weiterhin die Zeituhr.
Man kann sein Handy über eine Steckdose aufladen und auch ein Navi betreiben. Wie konsequent man bei Urwerk beim Einsparen von Gewicht vorging, zeigt ein Detail: Für den Unterbau der Garnierleisten an den Türen wählte man leichteres Material. Wo man auch Masse spart und mehr bietet: Das Gaspedal ist gelocht und lässt sich mittels Kugelköpfen und Gestänge in Neigung verstellen, hinzu kommen eine Schaltwegverkürzung und eine leichte Motorsportbatterie. Jedes Gramm zählt.

Urwerk 911

KEVLAR-COMPOSITE-GEWEBE FÜR KAROSSERIETEILE des Urwerk 911

Das Thema Leichtbau sei nicht ausgereizt, beim nächsten Wagen stehe eine 8 vorn, verspricht Stephan von Tülff, Geschäftsführer bei Urwerk. Der 911 Carrera 3.2 sei auch deshalb die ideale Basis gewesen, so von Tülff weiter, weil nur das G-Modell die originale schlanke Seitensilhouette des F-Modells biete, mit seinen flachen Schwellern, den Wagenheberaufnahmen und den freiliegenden Ölleitungen. „1300 Arbeitsstunden fielen für die Umsetzung des Projektes an.“
Mit Fahrer, fahrfertig und vollgetankt (1050 Kilogramm) ergibt sich ein Leistungsgewicht von 3,95 Kilogramm/PS. Die gängigen Restomod-Modelle anderer Firmen, die ebenfalls schon gewichtserleichtert antreten, müssen etwa um die 330 bis 350 PS aufbieten, um hier mithalten zu können. Das sind dann in der Regel schon fast rennsportmäßig getunte 964- oder 993-Motoren mit 3,8 Litern Hubraum.
Was man aber nicht verschweigen darf: Im oberen Geschwindigkeitsbereich, so etwa ab 200 und 220 km/h, bekommen Dinge wie der Luftwiderstand einen zunehmend größeren Einfluss. Da dürften die Kollegen etwas davonziehen, auch wenn es sich meist um Breitbauversionen handelt. Doch für das Bolzen auf der Autobahn wurde dieser Wagen nicht gebaut. Und wenn es ans Bremsen auf kurviger Landstraße geht, holt man wieder auf. Was man nicht rumfährt, muss man nicht verzögern.
Auf stark modifizierte Motoren kann Urwerk verzichten – auch das gehört zum Konzept. Der 3,2-Liter-Motor bekam durch die sorgfältige Montage eines LM32-Kit von Cartronic mit Luftmassenmesser und einer durchsatzoptimierten Auspuffanlage von Eisenmann mehr Leistung, 266 PS bei 5900/min sind es.

Urwerk 1:1 Porsche

LEISTUNGSSTEIGERUNG AUF 266 PS

Damit bleibt er im Geiste dem 911 Carrera 2.7 RS treu – und auch im Klang. Die Auspuffanlage ist nämlich wie bei den älteren F-Modellen zweiflutig aufgebaut. Die Krümmer werden links und rechts direkt in den Auspuff geführt, das Endrohr bleibt links. Stephan von Tülff gibt unumwunden zu, dass ihm die doppelte Mittelrohroptik als eher unpassende Mode erscheinen würde.
Die Auspuffanlage trägt in einem ganz wichtigen Punkt zum Fahrvergnügen bei. Sie lässt nicht nur den leichtfüßigen Klang der alten Modelle aufleben, in etwas tieferer Tonart, sondern sie gebärdet sich vor allem auch zivil. Beim Fahren im Urwerk 911 fällt es schon auf, dass die Dämmungsmaßnahmen etwas sparsamer ausgefallen sind, aber in Kombination mit dem vergleichsweise leisen Auspuff ist das nicht unangenehm.
Der Klang wirkt einfach etwas ungefilterter, was für das ganze Auto gilt. Der Unterbodenschutz beschränkt sich auf Nahtabdichtung und Lackierung wie etwa beim 964 RS, was es ermöglicht, auf den sehr sauber gearbeiteten Unterboden oder in die Radkästen zu blicken. Dabei kommt man schon kurz ins Grübeln, ob man solch ein Fahrzeug tatsächlich den Widrigkeiten des Alltags aussetzen möchte, so porentief rein und ästhetisch ist der Anblick.

ABSTIMMUNG UND SOUND GERIETEN UNGEFILTERT

Sicher, so ein kompaktes Auto ist auf der Landstraße zu Hause. Aber der leichtfüßige Antritt bereitet auch auf einer Autobahn Freude, die komfortablen Sitze machen auch längere Reisen nicht zur Qual. Urwerk arbeitet nur noch an letzten Details wie etwa einer noch harmonischeren und sanfteren Abstimmung der Dämpfung, um dem Komfortgedanken mehr Rechnung zu tragen. Auch die wichtigen Daten wie Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit stehen noch nicht endgültig fest.
Der Motor zieht, das kennt man von der Cartronic-Abstimmung, sauber und druckvoll auch aus niedrigen Drehzahlen los. Dabei dreht er gleichmäßig kraftvoll hoch. In der Serie gibt sich der 3,2-Liter-Motor unterhalb von 4500/min eher zahm, um dann zweiten Schub zu entwickeln. Dieser veränderte Charakter passt gut ins Gesamtkonzept hinein und bietet eine vergleichbare Dauerhaltbarkeit wie die Basis, die für Laufleistungen von deutlich über 200.000 Kilometern ohne Auffälligkeiten bekannt ist.
Fazit: Wenn man auf dem Markt modifizierter Porsche 911 neue Akzente setzen will, dann so. Der Urwerk 911 kommt schlichter daher als andere, verzichtet auf große technische Extravaganzen und fährt dennoch ganz vorne mit. Das ist typisch Porsche.


Diesen Artikel mit weiteren Fotos finden Sie in Ausgabe 4-2020.

Fotos: Stephan Hensel / Max Becker / Urwerk 1:1

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